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Teamresilienz: Mental Health durch die Kraft der Vielen

Unternehmen denken Resilienz noch zu sehr als Einzelleistung und lassen dabei wichtige Potenziale ungenutzt. Ein Plädoyer für mehr Teamwork in Sachen psychische Widerstandskraft.


„Hey SHITSHOW, wir möchten unsere Mitarbeitenden resilienter machen.
Könnt ihr ein paar Coachings anbieten?“

Zugegeben, haargenau diese Anfrage lag bis dato noch nicht in unserem Posteingang. Die dahinterliegende Haltung begegnet uns in unserem Beratungsalltag aber mit zuverlässiger Regelmäßigkeit: Unternehmen möchten Resilienz fördern – und zwar, indem sie die Abwehrstrategien ihrer Mitarbeitenden individuell stärken.

Dabei geht das doch viel besser, viel effektiver — und viel gemeinschaftlicher!

Resilienz ist lernbar

Der Begriff Resilienz stammt eigentlich aus der Materialwissenschaft. Er leitet sich vom lateinischen „resiliere“ ab, was so viel wie zurückspringen oder abprallen bedeutet. Resilienz beschreibt in diesem Kontext die Eigenschaft eines Körpers, nach äußeren Einwirkungen wieder in seinen Ursprungszustand zurückzukehren.

In den 1970er Jahren wurde der Begriff von der Psychologie entdeckt und beschreibt seither die menschliche Fähigkeit, sich trotz schlechter Rahmenbedingungen gut zu entwickeln. Während man früher dachte, dass Resilienz etwas ist, das Menschen haben oder eben nicht, geht man heute davon aus, dass man sie erlernen und trainieren kann.

Resilienzkonzepte setzen also auf die Machbarkeit und Gestaltbarkeit des eigenen Lebens. Sie möchten den Einzelnen empowern, sich nicht unterkriegen zu lassen.

Grundsätzlich eine gute Sache, vor allem in einer BANI-Welt (brittle — brüchig, anxious — ängstlich, nonlinear — nicht linear, incomprehensible — unbegreiflich), in der die nächste Krise gefühlt nur einen Blick in den Newsfeed entfernt ist.

It’s the surroundings, stupid

Resilienz allein auf der Individualebene zu stärken, ist aber wenig effektiv. Denn wer schon einmal aus einer 15-minütigen Meditationssession in ein Meeting mit passiv-aggressiver Grundstimmung gestolpert ist und sich gefragt hat, wie die brav antrainierte Zen-Attitüde so schnell wieder verpuffen konnte, weiß: No (wo)man is an island.

Wir alle sind am Arbeitsplatz in mehr oder weniger beanspruchende Zusammenhänge eingebunden. Dazu gehören auch unsere sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz. Nach den Ergebnissen der Studie Feeling Good Makes Us Stronger aus dem Jahr 2016 von Isabella Meneghel und Isabel Martínez sind ein gutes soziales Netzwerk und vertrauensvolle Beziehungen sogar die Resilienz-Booster schlechthin.

Seit rund 15 Jahren werden unter dem Stichwort Teamresilienz deshalb auch zunehmend Resilienz-Ressourcen untersucht, die sich auf Ebene des Teams wiederfinden. Und das ergibt auch vor dem Hintergrund unserer gegenwärtigen Arbeitsgestaltung Sinn: In Zeiten von New Work und agilen Prozessen wurschteln schließlich die wenigsten von uns noch weite Strecken komplett allein vor sich hin.

Mehr als die Summe ihrer Teile

Die Forschung rund um Teamresilienz ist noch jung und das Konzept nicht eindeutig definiert. Im Allgemeinen bezieht sich Teamresilienz aber auf Prozesse des effektiven Umgangs mit Druck im gesamten Team und auf dessen Fähigkeit, zukünftigen Herausforderungen zu begegnen, ohne daran zu zerbrechen.

Fest steht auch: Teamresilienz ist mehr als die Summe ihrer Teile. Sie ist ein Gruppenphänomen, das entsteht, wenn Teams ganz bewusst in sich und ihre Ressourcen investieren. Selbst wenn Unternehmen also die Individualresilienz ihrer Mitarbeitenden stärken, heißt das noch nicht, dass sie im Anschluss über resiliente Teams verfügen. Denn die für sich vielleicht sehr resilienten Teammitglieder scheitern möglicherweise weiterhin daran, effektiv zusammenzuarbeiten und zu kommunizieren, um gemeinsam Rückschläge zu überwinden.

Die Kraft der Vielen

Für Unternehmen gibt es einige überzeugende Argumente, bei der Förderung von Resilienz auf die Kraft der Vielen zu setzen: Teamresilienz ist ein Motor für — na klar — Gesundheit.

Resiliente Teams sind aber auch langfristig motivierter und leistungsfähiger. Resilienzförderung auf Team- oder Organisationsebene ist deutlich wirksamer als auf Individualebene. Trotzdem gaben rund 44 Prozent von 200 Beschäftigten in einer kürzlich von uns durchgeführten Umfrage an, dass Resilienzförderung in ihrer Organisation nach wie vor nur auf der individuellen Ebene stattfindet.

Oder, direkt an zweiter Stelle: gar nicht. Höchste Zeit also, diesen Trend umzukehren!

Miteinander und füreinander

Für die Förderung von Teamresilienz gibt es kein Pauschalrezept. Wichtig ist aber der Faktor Lösungsorientierung. Also die Perspektive, bei Herausforderungen als Team gemeinsame Auswege zu finden und nicht etwa in destruktive Schuldzuweisungen zu verfallen.

Eine weitere Grundzutat lautet soziale Unterstützung. Sie beschreibt die grundlegende Haltung der Teammitglieder, füreinander da zu sein und in gute Beziehungen zu investieren.

Und last, but not leastEmotionsausdruck. Im Team sollte die Möglichkeit bestehen, Gefühle — auch die schlechten — voreinander offenzulegen und ehrlich miteinander zu kommunizieren.

Für alle drei Faktoren braucht es gute Kommunikation und psychologische Sicherheit.
Sind diese magischen Zutaten gegeben, ist man dem Ziel schon ein ganzes Stückchen näher.

Erste Impulse für abwehrstarke Teams

Organisationen, die es ernst meinen, können Teamresilienz auf unterschiedliche Arten stärken. Vorweg sei gesagt, dass bei den folgenden Maßnahmen kein Anspruch auf Vollständigkeit besteht. Es geht vielmehr darum, die Bedarfe der Teams zu ermitteln und die Maßnahmen passgenau zu planen. Dazu kann gehören:

1. Teamzeit (wirklich sinnvoll) nutzen

Ab in den Hochseilgarten oder doch lieber direkt an die Bar? Statt immer die gleichen Aktivitäten zu planen, sollten Unternehmen genau hinschauen:

Wo haben unsere Teams echten Bedarf? Hapert es beispielsweise an unterstützender und sicherer Kommunikation? Dann wäre eine Supervision zum Thema angebracht.

Die Aktivitäten sollten auch zum Beziehungsstand des Teams passen, gerade dann, wenn sich die Teammitglieder aufgrund von Remote oder Hybrid Work noch nicht abseits des Bildschirms gesehen haben oder es Zeiten größerer Fluktuation gab.

2. Den Blick nach innen und zurück wagen

So unspektakulär es klingt: Wer sich gegenseitig unterstützen und gemeinsam Lösungen finden möchte, sollte wissen, mit welchen Personen man es zu tun hat. Teams sollten deshalb genügend Zeit haben, um sich wirklich kennenzulernen.

Und dazu gehört nicht nur die Kenntnis über die jeweilige Lieblingsband, sondern eben auch, mit was für (vermeintlichen) Schwächen jedes Teammitglied zu kämpfen hat.

Teamsteckbriefe können dafür eine gute Lösung sein. Es ist auch förderlich für die Teamresilienz, aus vergangenen Herausforderungenzu lernen und Erfolge zu feiern. Regelmäßige Retrospektiven und eine konstruktive Fehlerkultur schaffen die Grundlage für ein Klima, in demdie Stress-Abwehrkräfte steigen.

3. Aus Konflikten lernen

Wer mag schon Konflikte? Trotzdem zeigt sich immer wieder: Teams, die Auseinandersetzungen als Lernmöglichkeit betrachten, gehen stärker aus ihnen hervor und festigen ihre Beziehungen nachhaltig.Um der Angst vor Konflikten zu begegnen, sollten sich Teams die nötigen Tools aneignen:

Helfen können Methoden der gewaltfreien Kommunikation, ebenso Supervision, bevor sich die Fronten verhärten, und regelmäßig Raum für Klärung bereitzustellen — zum Beispiel in Form von Clear-the-Air-Meetings.

Eines ist klar: In der Arbeitswelt ist eine weniger auf Einzelkämpfertum und mehr auf Gemeinschaft ausgerichtete Resilienzförderung längst überfällig. Und diese beginnt häufig dort, wo über Ressourcen, Zeit und Budget entschieden wird. Stellt euren Teams von all dem genug zur Verfügung und sie werden es euch mit nachhaltigerer Stärke danken.


Dieser Artikel ist ursprünglich erschienen in: Human Resource Manager Magazin, Ausgabe Oktober/November 2023, Schwerpunkt Emotionen.