Zum Inhalt springen

3 Tipps für mentale Gesundheit aus der Brille der agilen Organisationsentwicklung

Die Sensibilität in Unternehmen für psychische Gesundheit ist mit dem Trend rund um das Thema New Work stark gestiegen — und das völlig zurecht. Mentale Gesundheit bildet die Grundlage für Wohlbefinden, Motivation und das Gefühl der Selbstwirksamkeit. Doch dieses Fundament bröckelt: Über alle Altersgruppen hinweg sind psychische Erkrankungen immer häufiger Grund für Fehlzeiten.

Klar ist: Um eine wertschätzende und motivierende Arbeitsumgebung zu schaffen, muss das Thema psychische Gesundheit nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch kulturell und strukturell angegangen werden. Wie das funktionieren kann, haben wir bei Kim Wlach Gründerin von Berg & Macher und Unternehmenskultur-Expertin nachgefragt. 

Fakten zu Mental Health

In einer sich stetig beschleunigenden Arbeitswelt die immer mehr verlangt, sind unsere emotionalen und kognitiven Ressourcen besonders gefordert – und auch immer häufiger erschöpft. Dass es sich dabei nicht nur um eine gefühlte Wahrheit handelt, zeigen Zahlen wie diese: 

 

In Summe betragen die volkswirtschaftlichen Kosten durch psychische Erkrankungen allein in Deutschland 17,2 Milliarden Euro. Die Produktionsausfälle beliefen sich auf 118 Milliarden Euro (Stand 2022). Dieses Problem erkennen mehr und mehr Unternehmen und machen sich auf die Suche nach Lösungen. Welche Stellschrauben gibt es aus Perspektive der Organisationsentwicklung? Und wie können wir strukturelle und kulturelle Veränderungen in der Arbeitswelt anstoßen?  

New Work meets New Health?

Menschen möchten sich in der Arbeit entfalten und ihre Potentiale ausleben.
„Arbeit soll das sein, was den Menschen stärkt“ – so Frithjof Bergmann, Gründer des Konzepts New Work. 

Eines soll bei New Work im Mittelpunkt stehen: Der Mensch als Individuum mit seinen persönlichen Stärken. Deshalb machen es sich New Work-Ansätze zum Ziel, die individuellen Handlungs- und Entscheidungsspielräume der arbeitenden Menschen zu erhöhen – um damit auch zu einem größeren Mitspracherecht und Selbstwirksamkeitserleben beizutragen. Selbstwirksamkeits- und Kontrollerleben ist ein zentraler Schlüssel für mentale Gesundheit. 

Doch Eigenverantwortung und Selbstorganisation – Aspekte, die für New Work so handlungsleitend sind –wirken sich nicht zwangsläufig immer nur positiv auf die Psyche aus. Gefahren, die damit einhergehen können, lassen sich vereinfacht als die drei ‘Übers’ beschreiben: Überidentifikation, Übermotivation und Überarbeitung sind die Schattenseiten von deregulierten Arbeitsumfeldern. Wie finden wir die richtige Balance? Wir haben bei Kim, Geschäftsführerin und Unternehmenskultur-Expertin bei Berg & Macher, nachgefragt. 

💬 Kim, mit Berg & Macher habt ihr einen Prototypen für eine agile Organisation geschaffen. Magst du uns einmal erzählen, wer du bist und was ihr macht?

Sehr gerne! Ich bin Kim Wlach, Gründerin und Geschäftsführerin von Berg & Macher. Wir begleiten Unternehmen auf dem Weg hin zu einer zukunftsfähigen, agilen Organisation, indem wir die Organisation von innen heraus weiterentwickeln und über die Organisationsentwicklung einen strukturellen Rahmen für ein motivierendes und wertschätzendes Arbeitsumfeld schaffen.

💬 Gesundheit auf Individualebene erfordert einen strukturellen Rahmen auf Organisationsebene. Wie können Unternehmen Veränderungen bewirken, die sowohl die Prinzipien von New Work implementieren als auch die Mitarbeitergesundheit fördern? 

Wenn es um New Work geht, wird oft das Thema “mehr Home Office” und “flexiblere Arbeitszeiten” als erster Ansatzpunkt für eine New Work Initiative gesehen. Aus unserer Perspektive greifen diese Ansätze zu kurz. Denn die Frage, warum überhaupt New Work eingeführt werden soll und ob ein wirklicher Veränderungsgedanke besteht, bleibt dabei noch (vorerst) unbeantwortet. Wie soll die Organisation in Zukunft aussehen? Was soll sie ermöglichen und fördern? 

Um Veränderungen wirklich wirksam zu gestalten, verfolgen wir einen ganzheitlichen Ansatz. Wir arbeiten in der Organisationsentwicklung immer an den Stellschrauben einer Organisation, die den strukturellen Rahmen beeinflussen, in dem die Mitarbeitenden arbeiten. Unser 5-Felder-Modell zeigt 5 Stellschrauben bzw. Handlungsfelder auf, um die Transformation zu einer anpassungsfähigen Organisation mit einer starken Unternehmenskultur meistern zu können. 

Ich möchte Prinzipien von New Work, wie Selbstorganisation und Flexibilität aber trotzdem als Steigbügel verwenden, um zu zeigen, wie diese Themen aus unserer systemischen Perspektive angegangen werden. 

Selbstorganisation ist im Handlungsfeld Zusammenarbeit & Vertrauen zu verorten. Dieses Handlungsfeld fokussiert die effektive Zusammenarbeit in Teams durch klare Rollen und Verantwortlichkeiten und die Gestaltung eines psychologisch sicheren Umfelds. Hier wird auch die Brücke zur mentalen Gesundheit geschlagen: Wenn Unternehmen Hierarchiestufen reduzieren und Autonomie fördern, ohne Verantwortung und Entscheidungsräume anders zu verteilen und ohne zu überprüfen, ob die Mitarbeitenden genügend auf Selbstorganisation vorbereitet sind, besteht die Gefahr eines Führungsvakuums, das wiederum Chaos und Überlastung nach sich ziehen kann.

💬 Studien zeigen, dass Führungskräfte mehr Einfluss auf die mentale Gesundheit der Mitarbeitenden haben als Ärzt:innen und Therapeutinnen. Wie kann die Führungsebene eine unterstützende Unternehmenskultur schaffen?  

Vorab ist wichtig festzuhalten: Unternehmenskultur lässt sich nicht direkt verändern. Was verändert werden kann, sind die Stellschrauben, die helfen eine starke Unternehmenskultur aufzubauen. Schauen wir erneut auf das 5-Felder-Modell und welche Stellschrauben wir beeinflussen können. Zunächst ist es wichtig, eine klare Vorstellung zu haben, wohin das Unternehmen in Zukunft möchte und wie die Unternehmenskultur aussehen soll. Denn ohne Ziel ist kein Weg der Richtige.

Hier kommt die Frage zum Tragen “Wo soll euer Unternehmen in 3-5 Jahren stehen?”

Mein Tipp: Gebt der Visionsentwicklung ausreichend Zeit und Raum. Hierfür braucht es zunächst diejenigen Personen, die das beste unternehmerische Gespür für die Organisation haben. Dies sind meistens die Gründer:innen, die Geschäftsführung bzw. -leitung und eventuell noch das Top Management. 

Die Vision und die Vorstellung der Unternehmenskultur muss dann natürlich auch in die Teams getragen werden. Nehmen wir noch einmal das Beispiel der Selbstorganisation. Es ist nicht nur wichtig, die Rollen innerhalb des Teams klar zu definieren und zu kommunizieren. Eine klare Rollenklärung stellt sicher, dass Mitarbeiter:innen verstehen, welche Aufgaben und Verantwortlichkeiten sie haben, und minimiert Unsicherheit und Konflikte. 

Auch die Betrachtung des Führungssystems ist dabei relevant. Eine gute Führungskraft sorgt dafür, dass die Rollen gut aufeinander abgestimmt sind und dass die Mitarbeiter:innen die Möglichkeit haben, ihre Stärken und Fähigkeiten optimal einzubringen. Und Forschungsergebnisse zum Einfluss von Führungsstilen auf die psychische Gesundheit zeigen eindeutig, dass Teams, die von Führungskräften mit einem transformationalen Führungsverständnis geleitet werden, zufriedener sind und ein höheres Wohlbefinden aufweisen als Teams, die mit anderen Führungsstilen geleitet werden.

Dies führt nicht nur zu weniger arbeitsbedingtem Stress und weniger gesundheitlichen Beschwerden, sondern senkt auch das Risiko eines Burnouts. Transformationale Führung erkennt ihr, wenn Führungskräfte die Mitarbeiter:innen ermutigen, inspirieren und motivieren innovativ zu sein und Veränderungen zu schaffen und die zum Wachstum und zur Gestaltung des zukünftigen Erfolgs des Unternehmens beitragen.

Damit das funktioniert müssen Führungsteams gemeinsam Systemkompetenz aufbauen. Denn eine Führungskraft kann nur so gut „gesund führen“, wie es die Organisationsstruktur zulässt.

Das heißt konkret: Führungsteams müssen ein gemeinsames Verständnis für die Strukturen und Prozesse des Unternehmens entwickeln, um effektiv an der Verwirklichung der Vision und der Förderung einer positiven Unternehmenskultur zu arbeiten. 

Ist nun New Work = New Health?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir New Work und Mental Health gemeinsam betrachten. Statt nur oberflächliche Veränderungen wie „mehr Home Office“ braucht es einen Blick auf die tieferen Strukturen der Unternehmenskultur.

Warum? Weil nur so die mentale Gesundheit der Mitarbeitenden wirklich positiv beeinflusst werden kann. Wenn wir New Work nicht nur als schickes Büro oder flexible Arbeitszeiten verstehen, sondern auch strukturelle Veränderungen in Betracht ziehen, können wir von New Work zu New Health kommen – und einem neuen Verständnis von Gesundheit im Arbeitsumfeld.